I. Auftragsgegenstand

Mit Datum vom 01.06.2023 beauftragte Frau Ruth HAGER […] das Institut für angewandte Kriminalistik und Forensik der Richter Roth PartG mit der objektivierenden Durchführung einer Strafaktenforensik sowie ggfs. weiterer damit verbundener Aufgabenstellungen wie bspw. ergänzende Ermittlungen zu den mutmaßlichen „Tötungsdelikten“ vom 10.09.2022 auf der Insel Pico zum Nachteil des Mario […] Coucelos (74 Jahre alt) und Mario […] Sobral (65 Jahre alt).

  1. Grundlage der Beauftragung

Die Beauftragung erfolgt in Abstimmung mit den Rechtsanwälten der Beschuldigten im gegenständlichen portugiesischen Strafverfahren. Die Überlassung jeglicher Unterlagen – insbesondere der Strafakte – an das Institut für angewandte Kriminalistik und Forensik der Richter und Roth PartG erfolgt formgerecht nach portugiesischem Recht und unter strikter Wahrung der Vertraulichkeit.

Ziel der Untersuchung ist es, ergebnisoffen die Ermittlungen der portugiesischen Ermittlungsbehörden zu hinterfragen, die Strafakte inhaltlich auf Plausibilität und Vollständigkeit zu untersuchen und insbesondere die Verdachtsschöpfung gegen Tomislav Jozic und Ruth Hager unter kriminalistischen, kriminologischen und kriminaltechnischen Gesichtspunkten zu bestätigen, zu korrigieren oder gar zu verwerfen.

Die Leistungserbringung des Instituts für angewandte Kriminalistik und Forensik der Richter Roth PartG endet mit Übergabe dieses kriminalistisch-forensischen Gutachtens.

       2. Expertise der Gutachter

Die theoretisch-wissenschaftliche Kompetenz der Gutachter, in solchen relevanten Fragestellungen eine gesicherte Beurteilung vornehmen zu können, basiert auf einer profunden juristischen und kriminalistischen Ausbildung (abgeschlossene Studien der Rechtswissenschaften und Kriminalistik im Master und Doktorlevel). Dies auf nationaler und internationaler Ebene mit Status von EU-Experten und im Einsatz von EU-Projekten der inneren Sicherheit.

Die erforderliche praktische Fachkompetenz und Erfahrung der Gutachter erwuchs u.a. aus einer mehr als 20-jährigen kriminalpolizeilichen Tätigkeit in Bearbeitung komplexer Strafverfahren u.a. zur Aufklärung von Tötungsdelikten im Rahmen von Mordkommissionen – erworben auch auf höchster operativer Ermittlungsebene des Landes NRW, dem Landeskriminalamt in Düsseldorf.

Die kriminalistische Kompetenz der Gutachter umfasst ebenso die Disziplin Kriminologie und Kriminaltechnik (einschließlich der Waffenkunde).

II. Prüfungsgegenstand

1. Ausgangslage der Untersuchung

Ausgangspunkt der gutachterlichen Untersuchung ist der gemäß Anklageschrift angenommene fremd verschuldete Tod von Mario […] Coucelos (74 Jahre alt) und Mario […] Sobral (65 Jahre alt) vom 10.09.2022. Haupttatverdächtiger ist nach derzeitigem Ermittlungsstand der Herr Tomislav Jozic […]. Neben Herrn Jozic ist ebenfalls seine Lebensgefährtin, Frau Ruth Hager […] insbesondere wegen Verstoßes gegen das portugiesische Waffenrecht sowie dem Straftatbestand der Leichenschändung im Sinne des portugiesischen Strafgesetztes angeklagt.

In der Anklageschrift heißt es amtlich übersetzt wie folgt: 

„2. Dem Opfer Mario […] Sobral wurde am 04.11.2013 ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) des Herstellers Boston Scientific, Modell Incepta VR. mit der Seriennummer 105141 subkutan in die linke Seite seiner Brust implantiert.

3. Zum Tatzeitpunkt (10.09.2022) beabsichtigten die Geschädigten, ein Grundstück in Alto dos Rochoes, Gemeinde S. Mateus auf der Insel Pico zu erwerben, das sich von der Estrada Regional 1 bis zur Küstenlinie erstreckt und als Baia das Pedrinhas bezeichnet wird und an das Grundstück der Angeklagten angrenzt, nachdem sie sich bereits an die Eigentümer, darunter F. d. A., gewandt und ein Kaufangebot gemacht hatten.

4. Am 10.09.2022 um 14:00 Uhr fuhren die Opfer, die im Besitz einer Karte waren, auf der die Lage und die Abgrenzung dieses Grundstückes eingezeichnet waren, gemeinsam mit dem Auto von Mario Coucelos, einem Landrover mit dem Kennzeichen […], los, um das besagte Grundstück zu besichtigen.

5. Als sie in der Estrada Regional 1, etwa 700 Meter vom Haus der Angeklagten entfernt, ankamen, hielten die Opfer das Auto an, stiegen aus und durchquerten das Grundstück bis zum Ende der Mauer, die dieses Grundstück vom Haus der Angeklagten trennt.

6. Der Angeklagte besaß mehrere Überwachungskameras, die strategisch um sein Grundstück herum platziert waren, um jeden Passanten in der Nähe im Blick zu haben.

7. Und obwohl es sich um ein wenig frequentiertes Gebiet handelt, das an einer Klippe liegt, die die Küste definiert, sobald jemand die öffentliche Straße neben dem Grundstück der Angeklagten, wurde von dem Angeklagten angesprochen, der jeden, der vorbeikam, aggressiv ansprach und verjagte.

8. An einem nicht genau bestimmten Tag richtete der Angeklagte die halbautomatische Pistole, Modell 422, Kaliber 22. die er gewöhnlich bei sich trug, ordnungsgemäß bewaffnet auf einen Passanten.

9. Als der Angeklagte am 10.09.2022 Mario Coucelos und Mario Sobral in der Nähe der Mauer seines Grundstückes, in der Nähe des südlichen Scheitelpunktes, sah und sich über deren Anwesenheit ärgerte, schoss er auf ihre Körper.

10. Die durch die Schüsse verursachten Verletzungen führten zu Blutungen mit unkontrollierbarem Ausfluss und Blutverlust, die geeignet waren, den Tod der Opfer unmittelbar, notwendig und ordnungsgemäß herbeizuführen.

11. An der Fundstelle, in einer der Aussparungen der Mauer zur Strandpromenade hin (auf der Außenseite), wurde eine entleerte Munition (Patronenhülse) aus der unter Punkt 8 erwähnten Waffe des Angeklagten gefunden, mit der die Opfer erschossen wurden.

13. Anschließend schleppte der Angeklagte die Leichen der Opfer auf sein Grundstück.

14. Etwa 24 Stunden nach dem Verschwinden der Opfer und trotz der hohen Porosität und Unregelmäßigkeiten des Bidens war in der Nähe der Mauer des Grundstückes der Angeklagten eine große Menge frischen Blutes sichtbar.

15. Anhand der vorhandenen Hämatome lässt sich ein Muster erkennen, bei dem die Leichen vom Außenbereich der Mauer in den Innenbereich geschleppt wurden, der sich bereits auf dem Grundstück der Beklagten befand.

16. Es handelt sich um menschliches Blut.

17. Sowohl an der Außenseite als auch an der Innenseite des Grundstückes der Angeklagten befinden sich hämatologische und biologische (Haar-)Spuren der Opfer.

18. Nachdem er sich auf seinem Grundstück befunden hatte, beschloss der Angeklagte zu einem nicht genau festgelegten Zeitpunkt aber am Nachmittag des 10.09.2022, die Leichen der Opfer zu beseitigen, wofür er zwei Feuer auf dem Grundstück vorbereitete, eines südlich des Hauses und einige Meter von der Mauer entfernt, und ein weiteres nördlich davon, in dem Teil des Grundstückes, der zur Estrada Regional 1 ansteigt (nördliches Feuer).

19. Die Angeklagten zündeten die Leichen der Opfer an, ließen sie mehrere Stunden lang brennen und zerstörten sie.

20. Das Feuer, in dem die Leichen verbrannt wurden, war sehr groß und der schwarze, sehr dichte Rauch war noch Hunderte Metern vom Ort des Geschehens entfernt zu sehen. Ein ekelerregender Geruch, der viele Stunden lang in der Luft lag.

21. Die Angeklagte (Ruth) kam am 10.09.2022 gegen 20 Uhr nach Hause. 

22. Als sie erkannte, was vor sich ging, beschloss sie, dem Angeklagten (Tomislav) zu helfen und half ihm, die Leichen der Opfer zu beseitigen.

23. Nach der Verbrennung der Leichen der Opfer, für die sie verschiedene brennbare Materialien wie Diesel, Benzol und Benzin verwendet hatten, und um die verbleibenden Spuren der verbrannten Leichen zu verwischen, verstreuten, reinigten und entsorgten die Angeklagten die Asche der Opfer.

24. Am darauffolgenden Tag, dem 11.09.2022, versuchten die Angeklagten, alle Spuren des Verbrechens zu beseitigen, indem sie die Asche verstreuten, Köder (Fischreste, Fischdärme und -gräten) über das Blut auf dem Boden schütteten, die vorhandenen Bilder der Videoüberwachungsanlage beseitigten, das Anwesen wuschen und reinigten, verschiedene Teppiche und Reinigungshandschuhe zum Trocknen aufhängten und in ständiger Betriebsamkeit das Haus mehrmals betraten und verließen.

25. Neben den Blut- und biologischen (Haar-)Spuren der Opfer, die auf dem Grundstück der Angeklagten gefunden wurden, fand man im nördlichen Lagerfeuer einen kleinen runden Metallgegenstand, der durch die Hitzeeinwirkung leicht verformt war. Es handelte sich um den Herzschrittmacher, den Mario […] Sobral in seinen Brustkorb implantiert hatte.

26. In der Wohnung bewahrten die Angeklagten neben der bereits erwähnten halbautomatischen Pistole, Modell 422, Kaliber 22, die sich im Besitz der Angeklagten befindet, Folgendes auf: 

i.) Ein Gewehr, Marke TOZ, Modell T03-78-01, Kaliber 22. mit aufgesetztem Zielfernrohr, Marke WESTHUNTER 

ii.) 1454 Schuss nicht explodierte Munition des Kalibers 22 und 15 Schuss Munition in einer offenen Schachtel 

iii). 4 Magazine, zwei mit je 12 Schuss und die anderen mit je 10 und 5 Schuss; 

iv.) Eine Armbrust und einen Bogen, beide aus Kunststoffpolymer, der erste mit einem Zielfernrohr, Gegenstände, die eine Nahkampfwaffe im Sinne von Artikel 2, Nr. 1, Absatz m) des Waffen- und Munitionsgesetzes (Gesetz Nr. 5/2006 vom 23. Februar) darstellen.

27. Diese (oben unter iv. erwähnten) Waffen gehören zu den Waffen der Klasse A (Artikel 3. Nr. 2. Absatz g) des RJAM), da es sich um „Vorrichtungen oder Instrumente handelt, die ausschließlich zu dem Zweck konstruiert wurden, als Angriffswaffe verwendet zu werden“, und ihr Besitz ist gemäß Artikel 4. Nr. 1 des RJAM verboten.

28. Die Angeklagten hatten auch in ihrem Haus:

v.) Sieben Dolche, eine Machete und ein Bajonett, alle mit einer Klinge von mehr als 10 cm Länge, sind Gegenstände, die unter die Definition einer Nahkampfwaffe fallen (Artikel 2. Nr. 1 Absatz m) des RJAM), die sich auf „jeden Gegenstand oder jedes tragbare Instrument mit einer Klinge oder einer anderen schneidenden, durchbohrenden oder schneidenden Oberfläche von mehr als 10 cm Länge“ bezieht. Sie sind Waffen der Klasse A gemäß Artikel 3, Nr. 2, Absatz f) und Artikel 3. Nr. 2, Absatz g), alle RJAM. Ihr Besitz ist gemäß Art. 4, Nr. 1 des RJAM verboten.

vi.) Ein Boxer mit einer Klinge (Karambit-Klaue), die größer als 10 Zentimeter ist, ist ein Gegenstand, der in der Definition von Boxer (Art. 2 Abs. 1 Unterabsatz ap) des RJAM enthalten ist, da es sich um „ein Instrument aus Metall oder anderem harten Material handelt, das dazu bestimmt ist, gehalten zu werden und die Wirkung eines Angriffs zu verstärken“. – cfr. eine Waffe der Klasse A nach Art. 3. Abs. 2. Abs. c) des RJAM. Der Besitz ist verboten gemäß Art. 4. Abs. 1 RJAM verboten.

vii.) Zwei Schalldämpfer- die eine Waffe der Klasse A darstellen, gemäß Art. 3, Abs. 2, Abs. z) des RJAM darstellen und deren Besitz gemäß Art. 4, Abs. 1 des RJAM.

29. Die Angeklagten kannten die Eigenschaften der Waffen, die sie besaßen und wussten, dass ihr Besitz unter allen Umständen verboten war, und dennoch wollten sie sie in ihrem Besitz behalten und, im Falle des Angeklagten, von ihnen Gebrauch machen. 

30. Indem er in der oben beschriebenen Weise handelte, handelte der Angeklagte mit dem konkreten Ziel, das Leben von Mario […] Coucelos und Mario […] Sobral zu nehmen, motiviert durch Faktoren, die völlig unverhältnismäßig und absolut ungerechtfertigt sind, um das Leben eines Menschen zu nehmen, was eine völlige Gefühlslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der Opfer offenbart.

31. Indem er die Leichen auf sein Grundstück schleppte, sie anzündete und mehrere Stunden lang brennen ließ und die verbleibende Asche an mehreren Stellen verstreute, um die Spuren der begangenen Morde zu beseitigen und die Behörden über ihre Verschwinden zu täuschen und sich so der damit verbundenen Verantwortung zu entziehen. …“

Die Ermittlungsakte der portugiesischen Ermittlungsbehörde wurde dem Institut für angewandte Kriminalistik und Forensik der Richter Roth PartG sukzessive ab dem 03.06.2023 als Schwarz-Weiß-Kopie in digitaler Form (abgefasst in portugiesischer Sprache), bestehend aus Hauptakte, Aktenzeichen […]; die Akte […] schließt mit Blatt 1340.

Ferner übermittelte Frau Hager selbst angefertigte Videos (kurze Videosequenzen) vom Tat-/Fundort.

 2. Gang der Untersuchung – Strafaktenforensik

Der Schwerpunkt der hiesigen Untersuchung liegt in der Durchführung der sogenannten Strafaktenforensik. Diese versteht sich im Wesentlichen als ein zweistufiger Prozess der Informationsgewinnung und Informationsanalyse sowie der Informationsbewertung mit ggfs. erforderlichen Nachermittlungen. 

Ziel ist die Objektivierung eines Ermittlungsverfahrens nach kriminalistisch-forensischen und rechtlichen Maßstäben – beginnend mit der ersten polizeilichen Ermittlungsmaßnahme und endend mit dem mutmaßlichen Ermittlungsergebnis. Im vorliegenden Sachverhalt liegt der Schwerpunkt auf der kriminalistisch-forensischen Ebene. 

2.1. Phase der Informationsgewinnung und Analyse 

In der ersten Phase wird die überlassene Strafakte inhaltlich vollständig erfasst und nach den jeweiligen Ermittlungsschritten (oder auch Ermittlungssträngen in umfänglicheren Ermittlungsverfahren) systematisiert. Hierbei geht es um die Erfassung aller relevanten Informationen und Zusammenhänge inklusive einer eventuell damit korrespondierenden Themenrecherche. 

Anschließend erfolgen zu den jeweiligen Punkten des Gutachtens erste Analysen – im Komplex der Vernehmungsprotokolle in Form einer nachgelagerten „Anmerkung der Gutachter“. Werden die polizeilichen Ermittlungen in ihrer Tiefe nicht als ausreichend erachtet, fällt die Analysearbeit der Gutachter zu den vorliegenden Belegen (Zeugen- und Sachbeweise) nachvollziehbar intensiver aus. 

In puncto Erfassung relevanter Informationen und Zusammenhänge geht es nicht nur um solche, die unmittelbar die Tat betreffen, sondern auch Informationen, die die Grundsätze einer solchen Verfahrensführung repräsentieren wie bspw. den Anspruch auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie den Anspruch auf eine objektive Verfahrensführung etc. 

Unter diesem Ordnungspunkt sind ferner auch und gerade die Informationen zu berücksichtigen, die durch die zuständige Sachbearbeitung nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben wurden. Diese wären insoweit für eine defizitäre Ermittlungsarbeit indikativ. 

Im vorliegenden Fall könnte die frühe Festlegung auf eine konkrete Tat-Täter-Theorie mögliche Versäumnisse der Ermittlungsbehörden in Form von nicht vollständig erhobenen Informationen begünstigen. 

So steht Tomislav Jozic de facto bereits nach den ersten Ermittlungen der örtlichen Polizei als Doppelmörder im Sinne der portugiesischen Rechtsordnung fest – und dies trotz des Fehlens der Leichname, bzw. der menschlichen Überreste der vermissten erwachsenen Männer.

2.2 Phase der Informationsbewertung 

In der zweiten Phase der Strafaktenforensik geht es um die Bewertung aller aus der Akte gewonnen Informationen, Zusammenhänge und Ermittlungserkenntnisse mit dem Ziel einer objektiven Bewertung der Ermittlungsarbeit samt dem Ermittlungsergebnis. 

Die Erfahrung zeigt, dass sich häufig unterschiedliche Fehler im Rahmen der polizeilichen Ermittlungsarbeit einschleichen können; insoweit dient diese Phase ebenfalls dem Erkennen und Aufdecken potenzieller Defizite im Ermittlungsverfahren. 

Wie unter Punkt 2.1 des Gutachtens angemerkt, liegt die Besonderheit des hier gegenständlichen Ermittlungsverfahrens in dem Umstand der frühen Festlegung auf die Tat Täter-Theorie und den ausschließlich in diese eine Richtung durchgeführten Ermittlungen. Es ging daher in diesem Fall nicht mehr um das Ermitteln eines unbekannten Täters, sondern um den Nachweis der Tat für einen nur wenige Tage nach der Tat festgenommenen Täter. 

Eine derartige Ausgangslage in einem Ermittlungsverfahren birgt Gefahren hinsichtlich der Qualität von Verfahrensergebnissen; dies beginnend mit der Spurensuche, folgend mit der Spurenwertung als relevant oder nicht relevant für das Verfahren, sodann der Spurensicherung samt Spurenanalyse und Spurenauswertung sowie letztlich den Schlussfolgerungen hinsichtlich Tat, Täter und Tatzusammenhänge. 

Konkret geht es hierbei auch um den rechtstaatlichen Anspruch auf die Führung eines objektiven Ermittlungsverfahrens unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Momente. Die Erfahrung lehrt, dass in Ermittlungsverfahren, die unter dem Einfluss einer solchen scheinbar gesicherten Verdachtsprägung stehen, oft die Motivation bei den Ermittlungskräften sinkt, um bspw. in letzter Konsequenz alle Spuren zu finden, diese vollständig zu sichern und diese abschließend vollumfänglich zu würdigen. Auch wird ggfs. auf erforderliche Maßnahmen verzichtet. Daraus ergeben sich unabwendbar Risiken für die Objektivität des gesamten Strafverfahrens. 

In vorliegender Fallkonstellation richtet sich der Blick der Gutachter daher zunächst auf die dokumentierte „Tatortarbeit“; dabei gilt als Tatort der Ort an dem ein Täter vor, während und nach der Tat gehandelt hat. Hier besteht der klare Anspruch auf eine intensive Tatortumfeld. Dabei ist den Unterzeichnern durchaus bewusst, dass nahezu an jedem Tatort tatrelevante Spuren übersehen werden. Davon ausgehend, dass es sich hierbei um einen statischen und räumlich klar begrenzten Tatort handeln soll, muss erwartet werden, dass nahezu alle relevanten Spuren festgestellt wurden. 

Es gilt der Grundsatz, dass alle Spuren, die nicht gesichert und alle Informationen, die nicht erhoben werden, signifikant die Qualität der Ermittlungsarbeit reduzieren und letztlich das Ermittlungsergebnis insgesamt verfälschen können. 

Von herausragender Bedeutung sind in diesem Fall ferner die eingeholten Zeugenaus sagen – insoweit der Personenbeweis. Anders als bei Sachbeweisen sind Menschen fehlerbehaftet und neigen dazu, sich bei ihren exklusiven Aussagen noch wichtiger zu machen durch das Aufzeigen von Detailwissen, das möglicherweise in der vorgegebenen Tiefe nicht hätte erhoben werden können. Es besteht gerade in solchen Situationen der öffentliche Anspruch an den polizeilichen Ermittler, jede Zeugenaussage höchst professionell inhaltlich zu hinterfragen, diese zu prüfen und zu plausibilisieren. Dies nachvollziehbar flankierenden Fakten (Spuren/Beweise). 

Die weiteren gewonnenen oder versäumten Erkenntnisse und Informationen aus polizeilichen Maßnahmen wie Durchsuchungen, Sicherstellungen oder Überprüfung von Verbindungsdaten genutzter Mobiltelefone vervollständigen das Gesamtbild hinsichtlich Tat, Täter und Tatzusammenhänge. 

Gerade bei Tötungsdelikten ist das Ergründen des Tatmotivs essenziell für das Verstehen und das Aufklären eines solchen Deliktes. 

In Anlehnung an die Vorüberlegungen bildet in solchen Fallkonstellationen insbesondere die Befassung mit den nachfolgenden kriminalistischen (und kriminaltechnischen) Fragestellungen einen Schwerpunkt: 

• Sind alle Maßnahmen getroffen worden, um mögliche Spuren der Tat am Tatort aufzufinden? 

• Sind die möglichen Spuren und ggfs. Spurenträger gemäß den kriminalistischen Grundsätzen richtig gesichert worden? 

• Wurden die gesicherten Spuren kriminalistisch nachvollziehbar analysiert und ausgewertet? 

• Sind alle in Frage kommenden Zeugen ermittelt und zu ihren Feststellungen befragt worden? 

• Sind alle sonstigen Ermittlungsansätze durch die polizeiliche Sachbearbeitung abschließend durchermittelt worden? 

• Passt die festgestellte Spurenlage zum angenommenen Modus Operandi? 

• Gibt es ggfs. einen abweichenden Tathergang? 

Ein weiterer Untersuchungsfokus in diesem Ordnungspunkt des Gutachtens läge auf der Prüfung getroffener Maßnahmen hinsichtlich ihrer formellen und materiellen Rechtmäßigkeit. Dabei geht es neben der Einhaltung rechtlicher Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere um die Prüfung der Beachtung von Formvorschriften und der generellen Verhältnismäßigkeit getroffener Maßnahmen im Lichte des portugiesischen Rechts. Diesbezüglich wird angeregt, durch die portugiesischen Verteidiger eine solche Prüfung vorzunehmen. 

2.3 Ergebnis der Strafaktenforensik 

Nach der Erhebung der zuvor genannten Informationen sowie der fallbezogenen Analyse und Bewertung der selbigen ergibt sich regelmäßig das Erfordernis einer durch die Gutachter veranlassten, ergänzenden Ermittlungsarbeit. So kann im Rahmen der Un tersuchung erforderlich werden, 

• den Tatort aufzusuchen und einer neuerlichen (Spuren)Aufnahme und Spurensuche zu unterziehen, 

• bereits vorhandene und ggfs. neu festgestellte Spuren (Beweismittel) kriminalistisch und kriminaltechnisch neu zu bewerten, 

• Zeugen zu bestimmten Komplexen – unter Beachtung strafprozessualer Grundsätze – nachzubefragen, 

• weitere Zeugen zu recherchieren. 

Das wesentliche Ziel dieser Nachermittlungen liegt in der Objektivierung von Ermittlungsergebnissen der Ermittlungsbehörden. Eine solche kann das Ermittlungsergebnis bestätigen oder zu abweichenden Erkenntnissen hinsichtlich der Tat, des/der Täter und der Tatzusammenhänge führen. 

Die Strafaktenforensik samt den erforderlichen Nachermittlungen schließt mit der Erstellung eines kriminalistisch-forensischen Gutachtens, das insbesondere im Falle abweichender Erkenntnisse auch den Ermittlungsbehörden vorgelegt werden kann. 

Strafverteidiger nutzen insbesondere das Instrument „Strafaktenforensik“ zu Zwecken der Verteidigung; hier bspw. konkret im Rahmen von Beweisantragstellungen und Entwicklung einer individuellen Verteidigungsstrategie.

 

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